geschrieben von Lukas Hansen

Der will nur tanzen
Die DJs und Dozenten für elektronische Musik Hans Nieswandt und „Numinos“ erklären, was elektronische Musik genau ist und wie sie funktioniert

Der will nur tanzen von Lukas Hansen

Im Radio hört man oft Songs von David Guetta, Avicii oder Calvin Harris. Ihre Musik lebt von elektronischen Klängen. Was ist elektronische Musik eigentlich konkret?

Numinos Eine der wichtigsten Erfindungen für dieses Genre war der Synthesizer. Mit ihm kann man auf elektronische Weise Klänge erzeugen. Elektronische Musik bedeutete früher, dass ein Synthesizer zu hören war. Aber dann kamen immer mehr Geräte dazu. Die Drum-Machine, mit der Percussions elektronisch gespielt werden können, ist da nur ein Beispiel.

Hans Nieswandt Elektronische Musik im weitesten Sinne gibt es ja seit Anfang der 50er Jahre, sie ist also nichts Neues. Aber im Laufe der 60er Jahre wurden die Möglichkeiten der elektronischen Klangerzeugung größer.
Gibt es einen konkreten Zeitpunkt, der ausschlaggebend für die elektronische Musik von heute war?

Numinos Das Millennium. Bis zum Jahrtausendwechsel waren alle Techniken an Geräte geknüpft. Wer sampeln wollte, brauchte einen Sampler. Wer Drums haben wollte, brauchte eine Drum-Machine. Mit dem Millennium war der PC in der Lage, alle Funktionen in einem Gerät zu bündeln.

Nieswandt Trotzdem muss man auch heute unterscheiden: Es gibt experimentelle elektronische Musik und funktionale elektronische Musik, so nenne ich das jetzt mal. Funktionale elektronische Musik ist für den Dancefloor bestimmt und deswegen im Gegensatz zur experimentellen Musik auch durchaus in schlecht oder gut kategorisierbar. Die Tänzer bestimmen sozusagen die Form.

Kapitel 2

Naja, die Tanzfläche wird ja vor allem von DJs wie Calvin Harris bestimmt…

Numinos Es gibt ja nicht nur eine Tanzfläche. Und das ist das Spannende. Dass sich jenseits des Mainstreams ganz viele andere Tanzflächen entwickelt haben. Da passieren dann auch Sachen, die später vom Mainstream zitiert werden.

Nieswandt Dabei ist aber auch interessant, dass alle ihre Musik mit denselben Geräten machen. Und es hat kaum noch etwas mit Geld zu tun, weil ein MacBook mit einer bestimmten Software ausreicht.

Numinos Seitdem alle Produktionsmittel im Laptop vereint sein können – ich sage bewusst „können“, weil man es ja auch noch mit Geräten machen kann – ist der Schlafzimmer-Produzent Wirklichkeit geworden. Aus dem Schlafzimmer den Nummer-Eins-Hit machen ist schon mehrfach passiert.

Nieswandt Das hat auch die Industrie verstanden und wirbt jetzt mit dem Versprechen: „Setze deiner Kreativität freien Lauf.“ Damit erreicht man natürlich die Jugendlichen. Leider ist es so auch zu einer Simplifizierung der Musik gekommen.

Die Musik im Radio klingt oft ähnlich oder funktioniert nach ähnlichen Mustern. Als DJs arbeitet ihr selbst abseits des Mainstreams. Wie entsteht denn letztendlich nun ein elektronisches Musikstück?

Nieswandt Es gibt eine Menge Wege zu produzieren. Ein elektronisches Stück entsteht nicht, indem es komponiert wird. Sondern ein Track entwickelt sich aus einer kleinen Idee heraus. Ein Sound, ein Satz, ein Gerät, das man neu hat. Ich arbeite dann meist mit Loops. Lasse die Sequenz also immer und immer wieder abspielen. Und dann geht es los.

Numinos Dann wird additiv gearbeitet. Das ist auch das fundamental Unterschiedliche zum klassischen Komponieren am Notenblatt: Dieses Arbeiten im Loop, quasi an einem Takt, der immer wieder zum Anfang springt. Dann füllt man eine Spur mit elektronischen Percussions, dann vielleicht mit Gesang. Und so arbeitet man zunächst einmal vertikal. Während der Komponist linear arbeitet. Der Elektroniker bewegt sich in einer Schleife. Deswegen funktioniert diese Musik so gut auf der Tanzfläche. Der Tänzer will nicht viel Variation, er will tanzen. Er will einen Beat, der nicht abbricht. Und damit quasi eine Hypnotik erreichen.

Nieswandt Ja genau. Hypnotik ist ein gutes Stichwort. Loops sind dafür der beste Weg. Und das ist wirklich interessant, weil es dann natürlich auch einen Unterschied macht, ob man ein Stück im Sitzen anhört oder tanzend auf dem Dancefloor. Variationen, Tempowechsel, alles was bei klassischen Produktionen Qualität ausmacht, ist auf dem Dancefloor tödlich.

Bässe, Tanzen, laute Musik. Mit der Techno-Szene verbinden viele aber noch mehr: Drogen nämlich. Woher kommt das?

Nieswandt Eigentlich ist fast jede Feierei mit Rauschmitteln verbunden. Mir widerstrebt es immer ein bisschen, Alkohol als etwas anderes als eine Droge zu betrachten. Dass es bei Techno eher um bewusstseinserweiternde Substanzen geht, hängt mit der langen Traditionslinie seit den späten 60er Jahren zusammen. Ich denke aber nicht, dass im Techno anders als im Rest der Konsumgesellschaft Drogen im Gebrauch sind – eher, dass Techno eben Teil der Konsumgesellschaft ist.