geschrieben von Peter Berger

Bloß schnell weg aus Düsseldorf
Sonja Holländer fährt den Regional-Express 1 zwischen Aachen und Hamm.

Bloß schnell weg aus Düsseldorf von Peter Berger

Düsseldorf geht gar nicht. Im Berufsverkehr, der Bahnsteig im Hauptbahnhof schwarz vor Menschen und nur zwei Minuten Aufenthalt für einen Pendlerzug. „Zwei Minuten sind schon viel“, sagt Sonja Holländer (43), bremst den tonnenschweren Regional-Express am Bahnsteig ab und kann nur hoffen, dass es diesmal keine Probleme gibt. Dass kein Fahrgast die Türen im letzten Moment wieder aufdrückt, wenn die sich gerade automatisch schließen. „Das passiert hier ständig, dann habe ich verloren. Wenn die Türen einmal auf sind, kriege ich sie so schnell nicht mehr zu. Da kommt andauernd jemand, der mit diesem Zug noch nach Köln will. Oder mit irgendeinem Zug nach Köln. Den Reisenden ist das ja egal. Da steht Köln dran, also fahren wir mal mit. Da muss ich wirklich zusehen: Abfahrtszeit ist da, Türen zu und weg.“

Wenn jemand weiß, wie dringend nötig der Rhein-Ruhr-Express für die Hauptverkehrsachse zwischen Köln, Düsseldorf und Dortmund ist, dann Sonja Holländer. Seit 1999 fährt die Lokführerin den Regional-Express 1 von Hamm quer durchs Ruhrgebiet über Düsseldorf und Köln nach Aachen. „Davor bin ich auch schon diese Strecke gefahren. Der hieß da nur anders.“ In dieser Zeit hat der Verkehr um 25 Prozent zugenommen. Die Zahl der Trassen ist gleichgeblieben. 23 Züge pro Stunde und Richtung müssen sich zwischen Duisburg und Düsseldorf vier Gleise teilen. Im Berufsverkehr versucht die Bahn zusätzliche Verstärkerzüge hineinzuquetschen. Damit am Bahnsteig in Düsseldorf oder in Köln-Mülheim niemand zurückbleiben muss.

Und alles fährt bunt durcheinander gemischt: Fernverkehr mit ICE und Intercity, Regional-Express, S-Bahn und etliche Güterzüge. „Ab Duisburg wird es Richtung Köln immer enger. Da gibt es manchmal kaum ein Durchkommen mehr“, sagt Holländer.

Irgendwann ist Schluss, der Fahrplan nicht mehr zu halten. Jede Kleinigkeit hat große Auswirkungen. Wenn Regen einsetzt und die Schienen rutschig werden, ist die Beschleunigung nicht hoch genug. „Das ist wie bei einer Straße. Die Pflastersteine sind feucht, da kann man nicht so stark beschleunigen. Sehen Sie, die Tachonadel zittert. Die Räder drehen ein bisschen durch, wir haben ja auch massig Last. Dann kann ich nicht die volle Geschwindigkeit fahren.“

'Wenn ich in Düsseldorf pünktlich rauskomme, kann bis Köln nicht mehr viel schiefgehen.' Sonja Holländer, Lokführerin

Tempo 160 müsste es schon sein, doch das gelingt bei weitem nicht immer. „Wenn ich in Düsseldorf pünktlich rauskomme, kann bis Köln eigentlich nicht mehr viel schiefgehen. Dann komme ich auch pünktlich an.“ Einmal eingefahrene Verspätungen wieder rauszuholen ist nahezu unmöglich. „Bis fünf Minuten geht das noch. Sobald diese Grenze überschritten ist, habe ich einen ICE im Nacken und reiße alle anderen mit rein.“ Spätestens dann kommt der Moment, den alle Fahrgäste so lieben. Am nächsten Bahnhof ab aufs Nebengleis und den nachfolgenden Zug überholen lassen. „Wann ich rausgezogen und überholt werde, ist leider nicht meine Entscheidung. Wenn ich in Düsseldorf mit plus fünf Minuten rausfahre, wird es kritisch. Ich habe sieben Minuten, bis er hinter mir ist. Sonja, bleib auf dem Gas, bleib auf der Strecke.“

Heute sind es nur 90 Sekunden, die Sonja Holländer seit Essen mit sich rumschleppt. Alles gut, in Düsseldorf klappt der Fahrgastwechsel reibungslos. Es ist Mittagszeit, der Bahnsteig vergleichsweise leer, in zwei Stunden wird der Berufsverkehr einsetzen. Keine Türstörung, weil sich noch einer in den Zug reinquetschen wollte. Türstörungen sind für Sonja Holländer besonders ärgerlich. „Dann muss ich raus und die Türe per Hand schließen. Oder der Zugbegleiter muss das übernehmen. Wir müssen ja weiterkommen.“

Sonja Holländer macht den Pendlern keinen Vorwurf. „In der Regel wissen die ja nicht, wie eng das hier getaktet ist. Die halten sich die Türen auf, weil noch jemand angerannt kommt, meinen es gut damit. Sie ahnen aber nicht, was das für einen Rattenschwanz auslöst.“ Aber heute ist alles easy. 90 Sekunden zu spät Richtung Köln abgefahren – das müsste reichen. Doch kurz vor Langenfeld ist Schluss mit Tempo 160. Das Signal zeigt Rot. Weit und breit nichts zu erkennen. „Ich weiß auch nicht, warum wir jetzt hier stehen. Das kann alles sein. Eine technische Störung, eine Kreuzung, Personen im Gleis.“

Drei Minuten seien die Regel, nach drei Minuten müsste Sonja Holländer die Fahrgäste über den Grund des Zwangsstopps informieren. „Dazu muss ich es aber erst selbst mal wissen.“ Ein Anruf beim Fahrdienstleiter wäre jetzt hilfreich, doch bevor sie die Verbindung aufnimmt, kommt ihr der Grund entgegen. Ein Regional-Express kreuzt ihren Fahrweg. „Der ist aber mächtig spät, wird jetzt rausgezogen und überholt.“ Keine Minute später rauscht ein Thalys aus Paris Richtung Düsseldorf vorbei. „Da haben wir den Grund. Der Regional-Express hätte um 21 in Düsseldorf abfahren müssen, wir haben jetzt schon 45 und er ist noch nicht einmal angekommen.“ Wieder zwei Minuten drauf, die sich bis Köln nicht werden aufholen lassen. Es ist einfach keine Luft mehr im System.

'Früher hatten wir mehr Zeitpuffer. Da war es unerheblich, ob ich mit 120 oder 140 fahre.' Sonja Holländer, Lokführerin

Sonja Holländer muss jetzt darauf achten, dass sie nicht selbst zum Hindernis für andere wird. Vor Überraschungen sei man nie gefeit. „Hier ist jeder Tag anders.“ Am frühen Morgen, auf der Hinfahrt von Aachen nach Hamm, hatte sie selbst 32 Minuten Verspätung. „In Mülheim ist eine Frau beim Aussteigen gestürzt. Wir mussten den Notarzt rufen.“ Alles habe sie schon erlebt. Spielende Kinder in Bahndamm-Nähe. „Das kommt sehr häufig vor und bedeutet sofort Stillstand für alle.“ Eine Schafherde auf dem Gleis. Und immer wieder Kabeldiebe, die den Verkehr für Stunden lahmlegen. „Früher hatten wir mehr Zeitpuffer. Da war es unerheblich, ob ich mit 120 oder 140 fahre. Das ist heute auf die Sekunde genau getaktet.“ Der Ausbau der Trasse auf drei Gleise pro Richtung ist aus ihrer Sicht dringend nötig, um Fernverkehr, Regionalzüge, S-Bahnen und Güterzüge sauber voneinander zu trennen. Das ist wie beim Autobahnausbau. Drei Spuren pro Richtung müssten Standard sein. „Die S-Bahn fährt ja weitestgehend schon auf eigenen Gleisen. Aber auch nicht überall.“

Und wie bei den Autofahrern gebe es natürlich auf Stresssituationen, in denen „immer die anderen Schuld haben“. Sonja Holländer muss schmunzeln: „Der Fahrdienstleiter, der Fernverkehr, der Fahrgast, der eine Türe blockiert hat. So baut man den Ärger ab und weiß doch, dass die Bahn ein sehr komplexes System ist.“

Eins sei aber klar: Solange die Infrastruktur nicht ausgebaut ist, macht es für sie keinen Sinn, die Fahrpläne immer schneller zu machen. Der Herbst ist die schlimmste Jahreszeit. Vor allem wenn es regnet und Laub auf den Schienen liegt. „Das ist wie Schmierseife. Das macht Probleme beim Anfahren und beim Bremsen. Da können wir unmöglich pünktlich sein.“

Im Schritttempo rollt der RE 1 über die Hohenzollernbrücke in den Kölner Hauptbahnhof. Zeit, endlich mal eine Frage zu klären, die sich wohl jeder schon mal gestellt hat, der mit dem Zug nach Köln kommt. Warum fahren Sie hier so langsam? Viele Weichen, enge Gleisbögen, viele Menschen am Bahnsteig. Und außerdem muss Sonja Holländer darauf achten, dass sie die richtige Parkposition für ihren Zug erwischt. Denn auch Köln geht eigentlich gar nicht. Viel zu voll, viel zu wenig Platz. „Hier stehen häufig zwei Züge hintereinander an einem Bahnsteig. Da kann ich nicht einfach anhalten, wie ich will.“