geschrieben von Guenter Wallraff

Sauerstoff für die Demokratie
Die Stimme des investigativen Journalismus soll heutzutage vermehrt zum Verstummen gebracht werden. Ein Gastbeitrag von Günter Wallraff

Sauerstoff für die Demokratie von Guenter Wallraff

Unabhängiger Journalismus ist Aufklärung, das Offenlegen und Sichtbarmachen von Strukturen. Ein Journalist, der den Aufklärungswillen nicht auch als inneren Antrieb empfindet, dem fehlt etwas. Nämlich das Gefühl für die gesellschaftliche Verantwortung, die elementar für sein Berufsethos ist.

Journalisten bewegen sich in einem Umfeld von Terrorangst, Populismus, grassierendem Rassismus und nationalem Dünkel. Vieles davon wurde von der Kölner Silvesternacht und ihrer medialen und politischen Nachbereitung angefeuert und zum Teil verstärkt.

Die Journalisten des „Kölner Stadt-Anzeiger“ haben für ihre von verantwortlicher Politik und Behörden unerwünschten akribischen Recherchen nach der Silvesternacht 2015 den Wächterpreis der Deutschen Tagespresse verdient. Diese Veröffentlichungen haben zahlreiche Fehler der Polizeibehörden ans Licht befördert und einen Untersuchungsausschuss des Landtages angestoßen. Das war eine aufklärerische Tat.

Die Welle rassistischer Gewalt, verbaler und tatsächlicher, die nach der medialen Aufbereitung der Kölner Silvesternacht über das Land gerollt ist, hat leider auch den aufklärerischen Journalismus in die Defensive gedrängt. Kollektive Schuldzuweisungen gegen Migranten und Flüchtlinge, Vorverurteilungen und die Bagatellisierung des verbotenen „racial profiling“ – der anlasslosen polizeilichen Kontrolle von Menschen, die „anders“ aussehen als der phantasierte harmlose „Biodeutsche“ – greifen um sich.

Kampagnen und Gleichschaltung

Unser Berufsstand befindet sich in schwierigen Zeiten. Nicht nur wegen des Stimmungsumfelds. Sondern auch aus strukturellen Gründen. Sicherlich, die Vielfalt der Presse ist in Deutschland im Vergleich zu vielen anderen Ländern noch immer differenziert und breit gefächert. Ich habe mehrere Tageszeitungen und Wochenzeitschriften abonniert und finde Tag für Tag herausragend geschriebene und recherchierte Texte. Aber diese Vielfalt und auch die Qualität sind durch den rückläufigen Anzeigenmarkt, den Auflagenrückgang und die Zusammenlegung von Zeitungen stark gefährdet. In vielen Häusern werden verdiente und qualifizierte ältere Journalisten vorzeitig in den Ruhestand versetzt und Jüngere oft nur zu prekär beschäftigten Fest-Freien mit geringer Absicherung gemacht. Die Zeit für Recherche und Analyse kommt dadurch zwangsläufig zu kurz. Verlage sehen im Journalismus kein Geschäftsmodell mehr, es wird gespart und fusioniert, was den Niedergang noch beschleunigt.

Selbst die anspruchsvollen Medien neigen dazu, den Topmeldungen der Agenturen und den Mainstream-News hinterherzuhecheln. Für kurze Zeit beherrscht dann nur noch ein Thema den öffentlichen Diskurs, das ebenso plötzlich wieder in der Versenkung verschwindet, und zwar ohne dass es genügend analysiert oder gar durchschaut worden wäre.

Noch gravierender ist es, wenn sich eine bestimmte Presse – wenn auch nicht staatlich verordnet – gleichschaltet. Man denke an die Kampagne gegen den ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff, bei der ein Meutejournalismus entstand, dessen zur Hysterie gesteigerte Aufregung bis hin zur Menschenjagd eskalierte. Wenn konkurrierende Medien wie „Bild“ und „Spiegel“ gemeinsam so eine Hetzjagd veranstalten, bei der jeder versucht, immer noch eins draufzusetzen um den finalen Fangschuss abzugeben und nachgetreten wird, selbst wenn der Gejagte bereits am Boden liegt, hat dieser keine Chance. Auch ein Freispruch im Nachhinein nutzt wenig, wenn die Hinrichtung doch schon vorher vollstreckt wurde und sich die Vorverurteilung in den Köpfen festgesetzt hat.

En vogue ist die schnell geschriebene und leicht konsumierbare Empörungsgeschichte. Die Flut realer oder Scheininformationen im Netz beschleunigt das Tempo und die Flüchtigkeit. Immer seltener werden Journalisten freigestellt, um für längere Zeit ein Thema gründlich zu recherchieren. Dabei können Zeitungen nur durch exklusive Geschichten, Hintergrunddarstellungen und Analysen langfristig überleben.

Der Springer-Konzern, der die „Bild“-Zeitung herausgibt, hat, seit ich dort 1977 undercover recherchiert habe, jahrelang gegen mich und mein Buch „Der Aufmacher – Der Mann, der bei Bild Hans Esser war“ prozessiert. Bis schließlich das oberste Gericht ein Grundsatzurteil, die sogenannte „Lex Wallraff“, gesprochen hat: „Wenn es um gravierende Missstände geht, hat die Öffentlichkeit das Recht, darüber informiert zu werden – auch wenn die Informationen in Folge einer Täuschung erlangt wurden.“

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Das damalige Urteil hat den Freiraum des Journalismus insgesamt erweitert. Davon profitieren bis heute zahlreiche Kollegen und Sendungen wie z.B. Monitor, Frontal 21, Zoom oder eben das „Team Wallraff“, das RTL seit einigen Jahren ermöglicht.

Auf die „Lex Wallraff“ berufen sich im Übrigen bis heute auch Gerichte. Das OLG Stuttgart bezog sich kürzlich ausdrücklich auf dieses Grundsatzurteil und erlaubte dem SWR die Ausstrahlung des verdeckt gedrehten Films „Hungerlohn am Fließband“ des Investigativjournalisten Jürgen Rose über Betriebsabläufe bei Daimler Benz.

Überführte Konzerne beschäftigen hochdotierte Juristen mit Stundensätzen um die 500 Euro, um Unterlassungen gegen investigativ arbeitende Journalisten durchzusetzen – oft können sich Journalisten, kleinere und auch mittelgroße Verlage solche juristischen Auseinandersetzungen nicht mehr leisten, erst Recht nicht bis zur letzten Instanz auszutragen. Im Fall von „Team Wallraff“ hat der Sender angekündigt, notfalls bis zum Bundesverfassungsgericht oder zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu gehen, um dafür zu sorgen, dass über dem Profit verpflichtete krankmachende „Gesundheitskonzerne“ weiterhin auch undercover berichtet werden kann.

Ich habe mittlerweile den Eindruck, dass derartige Konzerne inzwischen strategisch vorgehen und Medienbüros und -anwälte vorschalten, die nichts anderes tun, als gezielt kritische Berichterstattung zu verhindern versuchen. Medienanwälte wie die der Berliner Kanzlei Schertz Bergmann versuchen seit langem, kritische Journalisten und Sendeanstalten wie z.B. auch ZDF von Veröffentlichungen abzuhalten. Da werden Zeugen mit anwaltlichen Schreiben eingeschüchtert, indem Schadensersatz angedroht wird. Und damit eine derartige Bedrohung nicht öffentlich bekannt wird, wird am Ende darauf hingewiesen, dass aus diesem Einschüchterungsbrief „weder wörtlich noch sinngemäß veröffentlicht werden darf“, da „bei Missachtung auch noch eigenständige rechtliche Ansprüche ausgelöst“ würden. Hier wird schon im Vorfeld eine größtmögliche Drohkulisse aufgebaut. Um diesen möglichen Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen, unterlassen viele Medien eine kritische Berichterstattung gleich ganz.

Lügenpresse in der Echokammer

Ganz andere Interessen stehen hinter einem anderen Angriff, dem Vorwurf nämlich, Journalisten würden einer „Lügenpresse“ oder „Systempresse“ dienen. Die rechte und rechtsradikale Ecke, aus der diese Kritik tönt, will ihr Treiben nicht ausleuchten lassen und ihre rassistischen Vorurteile ohne Widerspruch pflegen dürfen. Das scheint offensichtlich, dennoch konstatiere ich, dass sich in einzelnen Medien eine Zurückhaltung breit macht, gerade den Rassismus auch so zu nennen und vor den rechtsradikalen Stimmungsmachern zurückzuweichen.

Rechte Verschwörungstheorien, die Wahnwelten und geschichtsklitternden Konstruktionen dieser Szene gilt es aber nicht nur zu benennen, sondern immer wieder durch gründliche und verständliche Berichterstattung auszuleuchten. Die Tendenz nicht nur in dieser Szene, in schwierigen Zeiten jede neue Verunsicherung durch Einordnung in das alte sichere Weltbild vorschnell zu entschärfen, gilt es zu brechen. Dazu trägt auch die Gleichzeitigkeit von allgemeiner Verunsicherung und dem Bedürfnis, für alles sofort Bestätigung zu finden, bei – Stichwort: Echokammer.

Ich spreche auf Veranstaltungen häufig mit Menschen, die Zeitungen und Fernsehen zutiefst misstrauen. Oft stelle ich fest, dass sich diese Menschen ihre Meinung ausschließlich nach der Lektüre einschlägig gefärbter Internetseiten oder kruder Zeitschriften bilden. Sie suchen nur noch Bestätigung für ihr eigenes dogmatisch fest verankertes Weltbild, gefangen in ihrer Echokammer, die ihnen nur immer die gleichen „Wahrheiten“ zurückwirft. Das können nicht allein kritische Journalisten und Medien aufbrechen. Hier fehle es wieder mal an Bildung, klingt erstmal wie eine faule Ausrede. Aber im Umgang mit dem grundlegenden Wandel in unserer Informationswelt muss schon die Jugend geschult werden.

Das Fach Medienkompetenz muss Schulfach werden. Da müssten junge Lehrer unterrichten, die computeraffin sind, und die mit den Jugendlichen zusammen im Internet Blödsinn, Fake-News und Verschwörungstheorien von seriösen Nachrichten und Hintergrundanalysen unterscheiden lernen. Zeitungslesen und Analyse müsste in einem solchen Fach ein großes Thema sein.

Schließlich ist es höchste Zeit, dass sich die Medienunternehmen kritisch hinterfragen. Ist die übliche Ressortaufteilung der Zeitungen noch zeitgemäß? Wie stellen Redaktionen in Zeiten der Digitalisierung sicher, dass auch Online-Journalisten das grundlegende Handwerk der Recherche lernen? Wie begegnet man Fake-News und erkennt bzw. hinterfragt PR-Meldungen und -Texte, die in die Redaktionen schneien? Wie stellen Zeitungen sicher, dass Journalisten genug Zeit für investigative Recherchen oder wenigstens für das Befragen einer anderen Quelle haben? Wie entgehe ich dem Problem, nur Einheitsmeinungen durchzudeklinieren und – wie in vielen Talkshows zu besichtigen – unter einem Meinungsdach vor allem Scheindifferenzen auszutragen? Welche neuen Darstellungsformen braucht es in einer digitalisierten Medienlandschaft? Wie schafft es die Presse, weiter ein starkes Kontrollorgan der Demokratie zu bleiben und nicht immer stärker von Lobby- und Konzerninteressen durchtränkt zu werden?

Der Journalismus wird sich weiter stark verändern. Informatiker und Datenexperten gewinnen immens an Bedeutung. Vielleicht sind private Verlage allein dieser Entwicklung nicht gewachsen. Vielleicht sollten Stiftungen – wie in den USA schon lange – in Deutschland mittelfristig eine größere Rolle spielen. Vielleicht müssen wir auch über das Modell öffentlich-rechtlicher Zeitungen oder privat-öffentlicher nachdenken. Immerhin gibt es ja schon einen derart grenzübergreifenden Rechercheverbund, der gute Ergebnisse liefert. Aber wie wir es auch drehen und wenden und welche Lösungen auch gefunden werden: im Zentrum auch allen künftigen Journalismus muss der unbedingte Aufklärungswille der Journalisten stehen.

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