geschrieben von Joachim Frank

„Von Berufs wegen der Wahrhaftigkeit verpflichtet“
An die Arbeit der Journalisten knüpfen sich mit Recht besondere Erwartungen der Gesellschaft. Christiane Woopen, Vorsitzende des Europäischen Ethikrates, im Interview.

„Von Berufs wegen der Wahrhaftigkeit verpflichtet“ von Joachim Frank

Frau Woopen, dass Journalisten die Wahrheit sagen müssen – für dieses Gebot braucht es keinen Ethikexperten oder?

Eigentlich nicht. Aber die scheinbar einfachen Dinge sind ja bei genauem Hinsehen oft kompliziert. Die Wahrheit zum Beispiel ist nicht einfach die Wahrheit. Journalisten können sich nicht auf den Standpunkt zurückziehen, sie hätten „doch nur geschrieben, was wahr ist“.

Sondern?

Bei der sittlichen Beurteilung einer Handlung muss man alle betroffenen Güter mitberücksichtigen und entsprechend abwägen. Wahrheiten, zu einem falschen Zeitpunkt berichtet, können polizeiliche Ermittlungen behindern oder zur politischen Waffe werden, etwa kurz vor einer Wahl. Oder wenn man eine Wahrheit verbreitet, ohne sie in einen notwendigen Zusammenhang zu stellen, dann wird diese Wahrheit mindestens missverständlich und verfälscht, wenn nicht sogar in einem höheren Sinn unwahr. Kurz gesagt: Dass eine Information wahr – im Sinne von zutreffend – ist, das ist eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung dafür, sie verantwortungsvoll zu publizieren.

Zur Person

Christiane Woopen, geb. 1962, ist Professorin für Ethik und Theorie der Medizin an der Uni Köln und dort Direktorin des Forschungszentrums ceres. Bis 2016 war sie Vorsitzende des Deutschen Ethikrates. Sie ist Mitinitiatorin der „Kölner Botschaft“.

Stehen Journalisten in Sachen Wahrheit unter einem höheren moralischen Anspruch als alle anderen?

Natürlich ist jeder Mensch der Wahrhaftigkeit zunächst einmal in gleichem Maße verpflichtet. Andernfalls können sich die Menschen nicht mehr aufeinander verlassen. Aber für Journalisten gilt das von Berufs wegen in besonderer Weise. Sie sind es ja, die Informationen verbreiten, sie gesellschaftlich relevant werden lassen. Und wenn wir das politische System der Demokratie bewahren und hochhalten wollen, sind wir darauf angewiesen, dass wir uns auf das verlassen können, was die Massenmedien uns mitteilen.

Für massenhafte Verbreitung von Informationen – egal, ob wahr oder falsch – kann im Netz-Zeitalter jeder sorgen. Das ist nicht mehr die Domäne der Journalisten.

Deswegen betone ich ja, dass es keine Dispens von der Wahrhaftigkeit gibt – nirgends und für niemanden. Aber Journalisten kommunizieren eben nicht nur für sich und von sich aus. Kommunikation ist ihr Beruf, und daran knüpfen sich – wie an andere Berufe auch – bestimmte Erwartungen, die die Gesellschaft nicht jedes Mal neu, von Fall zu Fall aushandeln muss. Wenn ich zum Arzt gehe, darf ich mit Recht erwarten, dass er von Berufs wegen an meiner Gesundheit interessiert ist. Wenn ich einen Maurer beauftrage, darf ich davon ausgehen, dass er mir eine solide Wand hinstellt. Und wenn ein Journalist mir etwas sagt, darf ich von ihm als Vertreter seines Berufsstands erwarten, dass seine Mitteilung zutreffend ist und er den objektiven Gehalt einer Nachricht von dem unterscheidet, wie er subjektiv darüber denkt.

Das Gespräch führte Joachim Frank

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