geschrieben von Navid Kermani

„Wie traurig, dass Köln nicht ehrgeiziger ist“
Als Reaktion auf die Silvesternacht 2015 hat Navid Kermani die „Kölner Botschaft“ mitinitiiert. Heute sagt der Autor im Interview, die Stadt sei vorangekommen, ihr Trauma aber nicht überwunden.

„Wie traurig, dass Köln nicht ehrgeiziger ist“ von Navid Kermani

Herr Kermani, OB Henriette Reker hat den friedlichen Verlauf der Silvesternacht 2016 als „Wendepunkt“ bezeichnet. Die Stadt sei nach der Schockerfahrung der Vorjahreswende wieder so geworden, wie sie wirklich ist. Stimmt das?

Das Trauma der Silvesternacht 2015 ist sicher noch nicht überwunden. Was ich aber am Eigelstein, wo ich wohne und arbeite, schon erlebe, ist ein deutlicher Rückgang der Straßenkriminalität. Die Tätergruppe war ja bekannt. Darauf haben wir in der „Kölner Botschaft“ auch hingewiesen. Die erhöhte Präsenz der Polizei hat also unverkennbar Wirkung gezeigt. Was allerdings die beklemmende Frage aufwirft: Wenn einem Problem, dessen sich alle bewusst waren und das die Bewohner des Stadtteils schon längere Zeit beklagt haben, offenbar doch halbwegs beizukommen ist – wieso hat es dazu dann erst der Silvesternacht bedurft?

Weil immer erst etwas passieren muss, bis etwas passiert?

Ich würde mir grundsätzlich wünschen, dass die Politik nicht erst reagiert, wenn ihr die Probleme  über den Kopf wachsen. Dass es nicht Fukushima braucht, um über Nacht die Wende in der Atompolitik zu beschließen; nicht erst die Flüchtlinge auf der Autobahn Richtung Deutschland marschieren, um auf das Flüchtlingsthema aufmerksam zu werden; nicht erst der IS-Terror in Europas Städte einziehen muss, um zu begreifen, dass die Kriege in Syrien oder im Irak nicht zu lösen sind, indem wir sie ignorieren; nicht erst die EU vor dem Abgrund steht, um einzusehen, dass Weiterwurschteln sie endgültig zerstören wird. Das ist also nicht nur ein Kölner Problem.

Aber in Köln doch ein wiederkehrendes Muster, oder nicht?

Wir haben es bei der Aufarbeitung der Silvesternacht und der Bekämpfung der Missstände, die zu ihr geführt haben, nicht mit etwas Menschenunmöglichem zu tun. Das lässt sich genauso von den Herausforderungen der Integration sagen. Es ist falsch, die damit verbundenen Probleme zu leugnen. Aber es ist auch falsch, sie als unlösbar hinzustellen. Den Elan, den die Kölner Polizei und ihr neuer Präsident nach der Silvesternacht an den Tag gelegt haben, wünsche ich mir auch bei der Bewältigung von Integrationshemmnissen und sozialen Schieflagen, von denen längst nicht nur Flüchtlinge betroffen sind.

Finden Sie es nicht seltsam, dass das Agieren der Polizei zur Benchmark geworden ist? Dem Kölner Polizeipräsidenten Jürgen Mathies scheint das selbst unpassend oder gar unheimlich zu sein. Jedenfalls warnt er ständig davor, die Bewältigung der Silvesternacht allein an die Polizei zu delegieren.

Vollkommen richtig. Wir sollten nicht vergessen: „Köln“ wird über Deutschland hinaus als Synonym für Gewalt gegen Frauen und Probleme mit Migranten gebraucht. Ausgerechnet das liberale Köln mit seinem Stolz auf Vielfalt wird jetzt verbunden mit dem vermeintlichen Scheitern der multikulturellen Gesellschaft.

Immer noch?

Ja, ich höre das immer wieder, wenn ich auf Reisen bin. Natürlich ist das nicht gerecht Nirgends anders gab und gibt es ein solches Mobilisierungspotenzial gegen Rechts wie in Köln. Und gerade als jemand, der im Eigelstein lebt, also in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs und mittendrin in der multikulturellen Gesellschaft mit all ihren Schwierigkeiten und Schönheiten, finde ich nun überhaupt nicht, dass  Köln irgendwie eine „Failed City“ ist, also eine „gescheiterte Stadt“. Ich lebe wahnsinnig gern hier. Aber gerade deshalb wünsche ich mir, dass man Probleme auch anpackt, die unbestreitbar bestehen, wo Menschen aus so vielen Kulturen und vor allem mit so unterschiedlichen sozialen Hintergründen auf engstem Raum zusammenleben.

Ist es ein Versagen des Stadtmarketings, wenn dieser Eindruck nach wie vor besteht?

Mit Image-Kampagnen ist es nicht getan. Seit Jahren oder sogar Jahrzehnten beklagen wir, dass der Stellenwert der Kultur ausgerechnet in der so geschichtsträchtigen Stadt Köln im Vergleich mit anderen Metropolen deutlich geringer ist. Wenn Köln eine Oper von internationalem Rang hätte, brächte das mehr als große PR-Anzeigen in der New York Times. Stattdessen leistet sich eine Millionenstadt wie unsere nicht einmal ein Tanztheater, um nur ein Beispiel zu nennen. Auch das Budget fürs Schauspiel ist im Vergleich zu anderen Millionenstädten immer noch mickrig. Oder schauen Sie sich doch  in der Innenstadt um.

Wie meinen Sie das?

Die ganzen Schmuddelecken, die vernachlässigten Gebäude, die maroden Straßen, die Bahnhöfe und U-Bahn-Haltestellen, wo kein Aufzug funktioniert, die Lieblosigkeit an unseren Plätzen. Aber das geht nicht nur  Stadtverwaltung und  Lokalpolitik an! Das betrifft auch jeden, der seinen Müll auf die Straße wirft, seine Kölschflasche irgendwo stehen lässt oder in die nächste Ecke pinkelt. Oder diese neue, unsägliche Feierkultur, die aus öffentlich zur Schau gestelltem Saufen besteht, und zwar längst nicht mehr nur zu Karneval. Dass sich Köln mit dem Wort „Eventstadt“ schmückt, ist ja auch irgendwie bezeichnend. Wie traurig, dass Köln nicht ehrgeiziger ist! Vielleicht nehmen wir uns ein Beispiel am FC. Der Verein wurde ja oft als ein Spiegelbild der Stadt wahrgenommen, gerade in den langen Jahren des Niedergangs. Aber jetzt zeigt der FC doch, dass  Träume und Größenwahn nicht dasselbe sein müssen – dass Ehrgeiz auch mit Realismus einhergehen kann.

 Wo sehen Sie heute die Forderungen der „Kölner Botschaft“ am ehesten erfüllt?

Kriminalität, Gewalt gegen Frauen  und Fremdenfeindlichkeit lassen sich natürlich nicht einfach wegfordern. Aber ich denke, in puncto Debattenkultur hat die Botschaft Köln weitergebracht. Die Stadt hat ihre Sprachfähigkeit zurückgewonnen. Der Ton hat sich versachlicht. Es gibt immer Menschen, die sich im Internet anonym austoben. Aber ich habe in Köln sehr viel Bereitschaft und guten Willen wahrgenommen, vernünftig und differenziert über die Probleme zu sprechen, die in der Silvesternacht sichtbar geworden sind.

Zur Person

Navid Kermani, geboren 1967 in Siegen als Sohn iranischer Einwanderer, lebt als Autor und Orientalist in Köln. 2015 wurde er mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet, 2014 hielt er die Festrede im Bundestags zum 65. Jahrestag des Grundgesetzes.

 Was ist die größte verbliebene Schwach- oder Leerstelle?

Was es an Behördenversagen gab, davon ist durch die Presse schon vieles ans Licht gekommen. Ich kann nicht beurteilen, was noch unaufgeklärt ist. Aber ich sehe nicht, dass außer der Absetzung des damaligen Polizeipräsidenten umfassend Konsequenzen gezogen worden wären. Zumal es – wörtlich wie übertragen – genügend Baustellen gibt, bei denen man sich auch fragt, wer dafür eigentlich die Verantwortung trägt: Schauspiel, Oper, Stadtarchiv – es ist immer das Gleiche: Chaos und Desaster, aber am Ende ist es keiner gewesen. Wer das in Köln ändern könnte,  müsste sofort Ehrenbürger und Stadtpatron werden.

Das Gespräch führte Joachim Frank

Buchtipp: Gerhard Voogt/Christian Wiermer:
„Die Nacht, die Deutschland veränderte“,
riva-Verlag, Taschenbuch, 208 Seiten, 16,99 Euro.

  Kommentare ( 1 )

  1. Die eigentlich Verantwortlichen für die Zustände, die zu dem Kultur- und Zivilisationsbruch in Köln führten, eben den durch maghrebinisch-muslimische Männer organisierten und als Gruppe gezielt durchgeführten massenhaften An- und Übergriffen mittels sexueller Gewalt auf Frauen, sind zwar als Landesregierung abgewählt worden, aber immer noch im Landtag vertreten. Und richtig thematisiert wird dieser Angriff auf die Frauen und unsere Gesellschaft immer noch nicht.

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