geschrieben von Carsten Fiedler

Wir müssen schreiben, was ist
Zur Verantwortung der Presse gehören saubere Recherche, Kritik und Fairness. Ein Kommentar zum Wächterpreis der deutschen Tagespresse für den „Kölner Stadt-Anzeiger“, den „Express“ und die „Kölnische Rundschau“

Wir müssen schreiben, was ist von Carsten Fiedler

Die Aufarbeitung der Silvesternacht 2015 durch die Kölner Zeitungen – den „Kölner Stadt-Anzeiger“, den „Express“ und die „Kölnische Rundschau“ – wird an diesem Montag mit dem Wächterpreis der deutschen Tagespresse gewürdigt. Die höchste Auszeichnung für kritische und investigative Berichterstattung in Deutschland zu erhalten, freut uns sehr. Und macht uns Mut. Weil wir an guten, unabhängigen und kritischen Journalismus glauben.

Mit ihrer frühen und umfassenden Berichterstattung haben meine Kolleginnen und Kollegen dafür gesorgt, dass die Nachrichten über die Exzesse sexualisierter Gewalt in der Umgebung des Doms zeitnah in der Welt waren. Jeder, der wollte, konnte sich ein Bild machen. Das war auch die Basis für die Aufklärung der Geschehnisse, deren Dimension in den ersten Tagen noch niemandem klar war. Die Kölner Zeitungen haben mit ihren Recherchen, Berichten und Kommentaren bewiesen, dass die freie Presse in unserer Demokratie unverzichtbar ist. Das gilt speziell in einer Zeit, in der gesellschaftlicher Streit eher die Fliehkräfte verstärkt als das konstruktive Bemühen um Gemeinsamkeiten.

Warum es wichtig ist, das so zu betonen? Weil Pressefreiheit heute längst nicht mehr selbstverständlich ist. Weil sie in Gefahr geraten ist. Weil sie angegriffen wird von jenen, die nicht aufklären wollen, sondern manipulieren, denunzieren und destabilisieren. Machthaber wie Recep Tayyip Erdogan, Viktor Orban, Wladimir Putin und ja, auch Donald Trump attackieren die Medien. In der Türkei wurden in den vergangenen Monaten Hunderte Journalisten verhaftet, Dutzende Medienhäuser geschlossen. Der deutsch-türkische Journalist Denis Yücel sitzt weiter in türkischer Haft, weil er das dortige Regime kritisch hinterfragt und unerschrocken recherchiert hat. In Russland müssen missliebige Journalisten um ihr Leben fürchten. Auch in Ungarn werden unbequeme Reporter drangsaliert.

Und in Amerika, wo 1776 in der „Declaration of Rights“ die Freiheit der Presse ausgerufen wurde, erklärt heute der amtierende Präsident Journalisten zu Staatsfeinden. „You are fake news“, sagte Donald Trump in einer seiner ersten Pressekonferenzen nach der Präsidentschaftswahl zu einem CNN-Reporter. Was für eine zynische, brandgefährliche Schmähung!

Nach Angaben der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ wird die Lage für Journalisten und unabhängige Medien weltweit immer prekärer. Sie hat sich in knapp zwei Drittel der 180 untersuchten Länder verschlechtert. Besonders erschreckend sei es, dass auch Demokratien die Pressefreiheit immer stärker einschränkten, statt sie als Grundwert hochzuhalten.
Natürlich ist Pressefreiheit auch unbequem, und sicherlich machen Journalisten auch Fehler. Das passiert – wie in jedem anderen Metier auch. Doch im Einsatz für die Wahrheit, im Kampf um Fakten wird professioneller, unabhängiger und kritischer Journalismus dringender gebraucht denn je. Gerade jetzt, da mancher selbst ernannte Experte schon allen Ernstes vom „postfaktischen Zeitalter“ fabuliert.

Hier ist eine zweite Entwicklung zu nennen, deren negative Seite die Pressefreiheit in Bedrängnis geraten lassen kann: die Digitalisierung. Zunächst einmal bringt die digitale Revolution viele Vorteile und Vorzüge. Das Smartphone kann ein großartiges Instrument für Kommunikation und Information sein. Es sorgt aber auch dafür, dass in Sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twitter jeder zum Sender wird und seine Wut, seine Empörung, seinen Hass schranken- und grenzenlos verbreiten kann. Zudem bieten sogenannte „Bots“ mit automatisiert ausgespielten Inhalte beispiellose Möglichkeiten zur Desinformation. Darüber hinaus kommen Verschwörungstheorien und Hetzkampagnen im Netz leider zunehmend so daher, als wären es journalistische Inhalte. Von diesem Punkt führt eine Linie schnurstracks zu denen, die „Lügenpresse“ schreien und kritischen Journalismus bewusst denunzieren, um die Demokratie zu erschüttern.

Journalisten dürfen sich von alldem nicht beirren lassen. Sie müssen schreiben, was ist. Sie müssen beharrlich aufdecken und wahrhaftig berichten. Sie müssen hart kritisieren, aber auch fair und ausgewogen berichten. Es geht dabei um nichts Geringeres als um die Verantwortung für die Freiheit des Wortes. Nicht ohne Grund genießen Meinungs- und Pressefreiheit den besonderen Schutz unserer Verfassung.

Demokratie braucht die breite und vielstimmige Debatte. Entscheidend ist doch, dass wir die selbstbewusste und offene Gesellschaft bleiben, die wir sind. Die Pressefreiheit und die mit ihr verbundene professionelle Recherche ermöglichen es Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, sich umfassend und unabhängig zu informieren. Mit der Aufarbeitung der Silvesternacht 2015 haben die drei Kölner Zeitungen dazu einen wichtigen Beitrag geleistet.

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