geschrieben von Michael Hesse

„Baader und Mahler wollten mich erschießen“
Stefan Aust war nah an der RAF dran. Im Gespräch spricht er über persönliche Gefahren, Moby Dick und die Rolle des Staates.

„Baader und Mahler wollten mich erschießen“ von Michael Hesse

Herr Aust, Sie haben mit dem Buch „Der Baader-Meinhof-Komplex“ das wahrscheinlich bedeutendste Buch zur RAF geschrieben. Wie nah waren Sie an der RAF dran?

Ich habe mich in den letzten Monaten hingesetzt und das Buch um gut 100 Seiten erweitert und autobiographische Kapitel eingebaut, in denen ich erkläre, wie ich mit denen in Berührung gekommen bin. Ich komme aus Stade, einer Kleinstadt in Norddeutschland. Auf der Schule habe ich mit dem jüngeren Bruder von Klaus Rainer Röhl, dem Herausgeber von „Konkret“, die Schülerzeitung gemacht. Er war auch dort zur Schule gegangen und war der Ehemann von Ulrike Meinhof. Deswegen kannte ich sowohl Klaus Rainer Röhl als auch Ulrike Meinhof, als ich noch zur Schule ging. Da Röhl die Schülerzeitung interessant fand, hat er mich nach dem Abitur gefragt, ob ich nicht bei „Konkret“ anfangen wollte. Also habe ich 1966 bei „Konkret“ angefangen, zur Zeit des Beginns der Studentenbewegung. So war ich sehr nahe dran an den politischen Bewegungen der Zeit und habe nicht nur Ulrike Meinhof kennengelernt, sondern auch Rudi Dutschke, Horst Mahler, Otto Schily, Jan-Karl Raspe. Dadurch hatte ich viele Vorabinformationen, obwohl ich zu der Zeit zu einem linken Monatsmagazin gegangen bin, weil ich Zeitung machen wollte und nicht, weil ich besonders links gewesen wäre. Ich war immer der Meinung, dass es gut ist, dass es eine solche Zeitschrift gibt, ich aber nicht alles gut finden muss, was da drinsteht.

Gab es Vorbilder der Radikalisierung?

Es war der Versuch, den Krieg gegen die Amerikaner, gegen den Vietnam-Krieg, gegen den Kapitalismus in die Metropolen zu treiben. Die ersten Anschläge galten amerikanischen Institutionen in Deutschland. Ich war drei Jahre bei „Konkret“ und bin dann für ein halbes Jahr nach Amerika gegangen und habe dort die Anfänge der gewalttätigen Bewegungen miterlebt. Ich war in San Francisco und habe die Black-Panther-Bewegung kennengelernt und genau angeschaut, wie sich die Bewaffnung vollzog und was die Folgen davon waren. Ich war im Sommer 69 in New York und bin in eine der Gründungsveranstaltungen der „Weathermen“ gegangen. Es war ein kleiner Kreis und habe mich zu Wort gemeldet und gesagt: Wenn ihr nachmacht, was die Black Panther gemacht haben, wird es euch so ergehen, wie ihnen, ihr werdet Menschen erschießen oder ihr werdet erschossen. Als ich dann zurückkam und es mit der RAF langsam losging hatte ich eine gewisse Vorerfahrung aus der amerikanischen Entwicklung.


Zur Person

Stefan Aust (71), langjähriger Chefredakteur des „Spiegel“ und Herausgeber von „WeltN24“, ist Autor des Klassikers „Der Baader Meinhof Komplex“, der soeben in einer erweiterten Ausgabe im Verlag Hoffmann und Campe erschienen ist (32, Euro, 1008 Seiten).

War es einfach, Terrorist der RAF zu werden?

Es wäre sehr leicht gewesen. Man muss ja nur in den Untergrund gehen. Es spielten bei vielen Leuten Zufälle eine Rolle, sie waren zur falschen Zeit an der falschen Stelle. Ulrike Meinhof war bei der Baader-Befreiung beteiligt, aber es war eigentlich nicht geplant gewesen, dass sie aus dem Fenster springt und mit in den Untergrund geht. Es war eine Entscheidung von dem Bruchteil einer Sekunde. So erging es auch anderen. Man benötigte natürlich eine gewisse Mentalität, um mit seinem vorherigen Leben zu brechen, mit seiner Familie oder seinen Kindern. Das haben auch nicht so viele gemacht.

Wie waren die RAF-Mitglieder?

Ich habe Andreas Baader und Gudrun Ensslin nie kennengelernt. Aber Ulrike Meinhof hat sicher eine gewisse Ähnlichkeit mit Ensslin gehabt, weil beide einen sehr starken evangelischen Hintergrund hatten. Wie Vater Ensslin mal gesagt hat, als er auf das Kaufhaus-Attentat und die Rolle seiner Tochter gesprochen hat: Er hat von einer „ganz heiligen Selbstverwirklichung im Sinne des heiligen Menschentums“ gesprochen. Das heißt es war immer eine sehr stark religiöse Komponente in der Geschichte. Hier hatten Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin eine starke Gemeinsamkeit. Gudrun Ensslin war die entschiedene, die von Ulrike Meinhof bewundert wurde, während Andreas Baader auch Gangster hätte werden können.

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Wenn wir nun zum Deutschen Herbst 1977 schwenken. Wie waren die Haftbedingungen für die RAF-Mitglieder Meinhof, Baader, Ensslin und Raspe?

Zu Beginn waren die Bedingungen sicherlich schlechter als dann in Stuttgart-Stammheim. Untersuchungshaft ist natürlich nie ein Vergnügen. Bei der RAF hat sie sehr, sehr lange gedauert. Sie hat 1972 angefangen und 1977 war das Urteil immer noch nicht rechtskräftig. Das ist schon eine lange Zeit.

Und wie war die Situation für die Gefangenen in den Zellen?

Sie verlangten von den RAF-Mitgliedern draußen, befreit zu werden. Sie drohten sogar damit, den Nachfolgegruppen den Namen RAF zu entziehen. Die RAF-Gruppen draußen waren zwar selbständig und konnten Entscheidungen fällen, Abläufe absprechen, Morde und Entführungen planen. Doch der Wunsch der Insassen von Stammheim war ihnen Befehl.

Es endete im Selbstmord. Glauben Sie an die verbreitete Mordthese, der Staat habe die RAF-Terroristen getötet?

Nein, ich bin nie davon ausgegangen, dass sie ermordet worden sind, das ist völliger Quatsch. Es gab viele Anzeichen dafür, dass sei selbstmordgefährdet waren. Das haben sie ja auch selbst gesagt. Man muss halt wissen, dass Terrorismus immer eine suizidale Komponente hat. Die RAF-Mitglieder haben in ihren Briefen oft Bertold Brechts Lehrstück „Die Maßnahme“ zitiert. „Furchtbar ist es, zu töten, aber nicht andere nur, auch uns töten wir.“ Wenn man das mit dem islamistischen Terrorismus vergleicht, gibt es hier Parallelen. Hungerstreik, den eigenen Körper zur Waffe machen, sich selbst zu opfern. Das spielt immer eine große Rolle.

Die RAF-Mitglieder haben in ihren Briefen oft Bertold Brechts Lehrstück „Die Maßnahme“ zitiert: „Furchtbar ist es, zu töten, aber nicht andere nur, auch uns töten wir.“ Wenn man das mit dem islamistischen Terrorismus vergleicht, gibt es hier Parallelen Stefan Aust

War die Entführung der Landshut ein Bruch für die RAF?

Das war erst der zweite Schritt, der erste war die Entführung von Hanns Martin Schleyer. Zuvor hatte die Bewegung 2. Juni den SPD-Politiker Peter Lorenz entführt, um andere Mitglieder freizupressen. Sie haben es in dem Fall nicht überreizt, unter den Freigepressten war kein einziger, der wegen Mordes angeklagt war. Die Schwelle für den Staat, hier nachzugeben, war nicht so hoch. Die RAF hat allerdings mit der Entführung von Schleyer diese Schwelle zu hoch gesetzt, der Staat konnte nicht darauf reagieren, weil ja in den Monaten zuvor Ponto und Buback von der RAF getötet worden waren. Der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt hatte gar keine andere Wahl, als sich nicht darauf einzulassen. Die Palästinenser haben die Maschine Landshut in Eigenregie entführt. Das haben sie nur mit der RAF abgestimmt. Diese Aktion hat allerdings die Grenzen dessen massiv verschoben, was die RAF sich einmal zum Ziel gesetzt hatte.

Die Reaktion der Bundesregierung war richtig?

Ich glaube, die Bundesregierung konnte sich nicht auf die Forderungen einlassen, es war vorher zuviel passiert.

Wie wirkte die RAF in die Öffentlichkeit – gab es eine Anziehungskraft?

Es gab unterschiedliche Phasen. Am Anfang, als die RAF nur Banken überfallen hatte, gab es noch eine Menge Sympathien im Umfeld der Studentenbewegung und in linke Kreise hinein. Das nahm zu, als Petra Schelm bei einem Polizeieinsatz erschossen wurde. Das änderte sich jedoch, als es etwa nach dem Bombenanschlag im Springer-Haus viele Verletzte gab, darunter auch einige Schwerverletzte. Ulrike Meinhof wurde bei Polizei später ja auch von einem Linken verraten, das zeigt, dass die Unterstützung sehr nachließ.

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Das änderte sich in ihrer Gefängniszeit?

Es gab zunächst Isolationshaft. Die Menschen beschäftigten sich nun auf einmal mit Haftbedingungen. Die RAF-Mitglieder waren plötzlich wieder die Opfer und die Sympathie für sie nahm zu. Wer im Knast sitzt, ist ein bisschen Opfer. Die nächste RAF-Generation ist durch die Haftbedingungen und den Prozess erst geschaffen worden. Es waren die Helfer von den Rechtsanwälten, die zum ersten Mal Kontakt zum Gefängnis hatten.

Und welche Rolle spielten die Medien?

Terrorismus ist immer Propaganda mit echten Toten. Dieser doppelten Problematik kann man sich nicht entziehen. Als Journalist muss man sich eingestehen, dass man in gewissem Sinne auch benutzt worden ist und den Terroristen eine Bedeutung gegeben hat, die sie sonst nicht gehabt hätten. Aber die Alternative wäre Verschweigen. Das geht auch nicht.

Gibt es denn einen Vergleich zwischen dem Deutschen Herbst und Nine-Eleven in den USA?

Der Deutsche Herbst hat schon in der kollektiven Erinnerung ähnliche Spuren hinterlassen wie Nine-Eleven bei den Amerikanern. Mit einem Unterschied: die deutsche Regierung hat einmal Gewalt angewendet, als sie die Passagiere der Landshut befreit hat, was mit dem Einsatz der GSG 9 glücklich ausgegangen ist. Die Amerikaner haben Rache geübt. Und ein Sprichwort sagt: Wer auf Rache sinnt, sollte gleich zwei Gräber ausheben. Der Krieg der USA dauert heute noch an.

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Baader-Meinhof-Komplex

Hatten Sie selbst Sympathie für die Ideen der RAF?

Nein, überhaupt nicht. Ich war von Anfang so nah dran und hatte so viel Einblick, dass ich nie eine Spur Sympathie für den Terrorismus empfunden habe. Mein Aufenthalt in Amerika gab mir einen Vorgeschmack für das, was da rauskommen konnte. Die Zeile des Spiegel-Artikels von damals: „Der Kampf der 6 gegen 60 Millionen“ von Heinrich Böll, habe ich für absurd gehalten. Das war kein Krieg, sondern eine wahnwitzige Mord- und Selbstmordaktion der RAF.

Gab es für Sie selbst eine gefährliche Situation?

Baader und Mahler wollten mich mal erschießen, das war haarscharf. Dann gab es sehr viel später, als ich mit Bernd Eichinger der RAF-Film gemacht habe, einen Anschlag auf unser Haus mit Farbeimern und Steinen, die vor dem Bett meiner Kinder gelandet sind. Das war schon sehr unangenehm.

Wer die RAF verstehen will, muss Moby Dick lesen, sagten Sie einmal. Warum?

Gudrun Ensslin hatte sich die Decknamen für die RAF ausgedacht, um im Gefängnis die Postüberwacher in die Irre zu leiten. Und fast alle Namen entlehnte sie Herman Melvilles Roman „Moby Dick“. Der dämonische, monomanisch-rasende Kapitän „Ahab“ stand für Baader, „Starbuck“ für Holger Meins, „Zimmermann“ für Jan-Carl Raspe, „Quiqueg“ für Gerhard Müller, „Bildad“ für Horst Mahler, „Smutje“ für Ensslin selbst.

Der Wal ist ja eine Parabel?

Ja, ein chiffrenhafter Symbolkomplex, der hier noch einmal als Chiffre eingesetzt wird. Der Wal ist der Leviathan, und der Leviathan ist das Sinnbild für den Staat, wie der Philosoph Hobbes ihn in seiner Theorie konzipierte. Die RAF wollte diese Pappmaske der trügerischen Erscheinungswelt zerschlagen. Leider nicht im Roman sondern in der Wirklichkeit.

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