geschrieben von Petra Pluwatsch und Tobias Christ

Operation Feuerzauber
Am 18. Oktober 1977 kurz nach Mitternacht wird die „Landshut“ befreit.

Operation Feuerzauber von Petra Pluwatsch und Tobias Christ

Die sieben entscheidenden Minuten in Mogadischu würden locker für eine dramatische Selbsterhöhungs-Legende reichen. Aber Frank Hanke geht mit seiner Beteiligung an der „Operation Feuerzauber“ bescheiden um. Prahlerei liegt ihm fern. Außerdem hatte sein Leben durchaus mehr zu bieten als GSG 9. Nur wenn im Fernsehen etwas über die „Landshut“ läuft, wird Hanke wieder bewusst, dass er selbst Teil dieses Kapitels deutscher Geschichte war, die Befreiung der 86 von palästinensischen Terroristen entführten Flugzeug-Insassen ein Stück weit ihm zu verdanken ist.

Als Helden wurden Hanke und seine Kameraden von der Elitetruppe GSG 9 nach der erfolgreichen Erstürmung des Ferienfliegers auf dem Flughafen im somalischen Mogadischu gefeiert. Hanke bekam später – wie die übrigen Anti-Terror-Kämpfer – von Bundeskanzler Helmut Schmidt das Bundesverdienstkreuz am Bande überreicht. Als Held sieht sich der zurückhaltende 59-Jährige aus Wesseling aber nicht: „Wir haben nur unseren Job gemacht.“

Einsatz zum Schein abgebrochen

Die heiße Phase dieses „Jobs“ beginnt am 17. Oktober 1977 gegen 23.30 Uhr und endet etwa eine Stunde später. Heiß ist es tatsächlich, als Hanke, damals 19 Jahre alt und frisch verheiratet, in Jeans, T-Shirt und Turnschuhen in den Dünen von Mogadischu liegt und die „Landshut“ durch die Infrarot-Zielvorrichtung seines Scharfschützengewehrs anvisiert. Vier Tage zuvor hat das vierköpfige Terrorkommando „Märtyrerin Halima“ die Lufthansa-Maschine im französischen Luftraum in ihre Gewalt gebracht. Wie die Entführer des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer es tun, so verlangt Anführer „Kapitän Martyr Mahmud“ die Freilassung von elf inhaftierten RAF-Terroristen. Doch die Bundesregierung weigert sich, den Forderungen der Terroristen nachzugeben.

Hanke und einige Kollegen suchen gerade im Kölner Uni-Center nach Schleyers möglichem Versteck, als ihn der Einsatzbefehl erreicht. Kurze Zeit später sitzt er zusammen mit 32 weiteren GSG-9-Elitebeamten und zwei englischen Sprengstoff-Experten in einer Lufthansa-Maschine und nimmt die Verfolgung des entführten Flugzeugs auf. Als die Presse davon Wind bekommt, wird der Einsatz zum Schein abgebrochen. Die Truppe fliegt zurück nach Köln, hebt aber sofort wieder ab.

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Frank Hanke im aktiven Dienst
Frank Hanke im aktiven Dienst

Hanke

Die Stimmung in der Antiterroreinheit ist zunächst locker. „Als wir die Info bekamen, dass wir zugreifen, wurde es konzentrierter“, erinnert sich Hanke. Die Erstürmung von Flugzeugen haben die jungen Männer zwar trainiert: „Aber keiner hätte gedacht, dass unser erster Einsatz eine Flugzeugbefreiung ist. Und das auch noch im Ausland.“

Nach mehreren gescheiterten Versuchen, die „Landshut“ bei einem ihrer vielen Zwischenstopps in den vergangenen Tagen zu stürmen, soll es in der somalischen Hauptstadt Mogadischu ernst werden. In den Nachmittagsstunden des 17. Oktober landen die Einsatzkräfte im abgeschirmten Teil des Flughafens und bringen sich in Stellung. Hanke und drei seiner Kollegen sollen den Kameraden aus rund 150 Meter Entfernung bei der Erstürmung Deckung geben. Hätte ein Terrorist eine der Flugzeugtüren geöffnet und bemerkt, wie sich die Männer von hinten der Maschine nähern – Hanke hätte ihn „ausschalten“ müssen. Dafür ist er fast ein Jahr lang ausgebildet worden.

0,8 Sekunden braucht er zu diesem Zeitpunkt, um eine Pistole aus dem Holster zu ziehen und abzudrücken. Er ist fit wie ein Leistungssportler.  Der Alltag bei der GSG 9 bedeutet Drill, aber auch Privilegien. Eine Armada an Mercedes-Limousinen der S-Klasse steht der Truppe zur Verfügung, dazu Hubschrauber und Flugzeuge. „Wir waren etwas Besonderes“, sagt Hanke. Wirklich angestrebt hat er diese Sonderstellung nie. Der gebürtige Leverkusener ist Ausbilder beim Bundesgrenzschutz in Hangelar, als ihn seine Schüler überreden, es mit der GSG-9-Aufnahmeprüfung einmal zu versuchen. Zu seiner eigenen Überraschung wird er genommen. In England trainiert er in nachgebauten Straßenzügen, auf Puppen zu schießen, lernt Fallschirmspringen und Nahkampf. Immer besser sein als der Gegner, ist die Devise.

Die Befreiung der „Landshut“ wird der Höhepunkt von Hankes insgesamt achtjähriger GSG-9-Laufbahn. Bei 30 Grad Celsius liegt der 1,93-Meter-Mann im afrikanischen Sand. Vor ihm die Boeing 737-200. Er und die übrigen Scharfschützen können nur die unbeleuchtete Flanke der Maschine beobachten. Die beleuchtete wird nicht abgeschirmt, denn hier wären die Männer bemerkt worden. „Das war das Risiko“, sagt Hanke.

Doch der Zugriff glückt. Als die englischen Spezialisten zur Ablenkung vor dem Cockpit Sprengsätze zünden, geht alles ganz schnell. Hankes Kollegen stellen Leitern an das Flugzeug und öffnen gewaltsam die Türen. Drei der vier Entführer werden erschossen, nur Souhaila Andrawes überlebt. Geiseln und Einsatzkräfte bleiben weitgehend unverletzt.

In der Maschine schreckt eine dunkelhaarige junge Frau zusammen. Diana Müll ist genauso alt wie Hanke. 19 Jahre. In einer Disco hat sie kürzlich einen Schönheitswettbewerb gewonnen: eine Woche Urlaub auf Mallorca. Zusammen mit sieben anderen Schönheitsköniginnen war sie auf dem Rückflug nach Frankfurt, als die „Landshut“ entführt wurde.

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„Ich war irgendwie weggetreten, als die Schießerei losging“, erinnert sich die heute 59-Jährige. „Wir hatten seit Tagen nichts gegessen und getrunken und waren alle megalethargisch. Plötzlich hörte ich einen Riesenlärm und dachte: „Warum schießen die Terroristen jetzt quer durch das Flugzeug?“ Als ich den Kopf hob, schrie jemand: „Runter!““

Diana Müll kriecht auf allen Vieren unter den Vordersitz. Über ihr werden die Kopfstützen in Fetzen geschossen. Als sie aus ihrem Versteck den Gang hinunterguckt, sieht sie einen Mann auf dem Boden hocken. „Er war ganz schwarz im Gesicht und guckte mich direkt an. In meiner Panik dachte ich: Jetzt kommen die Neger und verschleppen dich.“ Damals, entschuldigt sich Diana Müll, habe man das noch gesagt: „Neger.“

Zweiter Moment des Horrors

Diana Müll hat Schreckliches erlebt in der entführten Maschine. „Todesangst hatte man ohnehin die ganze Zeit“, sagt sie. „Aber es gab immer noch eine Steigerung.“ Etwa, als Mahmud ihr eine Pistole an den Kopf hielt und drohte, sie zu erschießen, um das Auftanken der Maschine zu erzwingen. Der zweite Moment unfassbaren Horrors: die Ermordung des Piloten Jürgen Schumann in Aden. „Die beiden Terroristinnen haben Äpfel gegessen, während sie seine Gehirnmasse zusammenfegten.“ Auch diese Szene gehört zu den Erinnerungen, die sie trotz einer fast einjährigen Therapie bis heute verfolgen.

Nach sieben Minuten ist die „Operation Feuerzauber“ beendet. Hanke läuft zur Maschine und hilft den Passagieren beim Aussteigen über die Notausstiege. Nur eine fehlt: Diana Müll. Sie hat sich so tief unter dem Vordersitz verkrochen, dass sie allein nicht mehr herauskommt. Schließlich entdeckt ein GSG-9-Beamter die verängstigte junge Frau in ihrem Versteck. Zu dritt ziehen sie sie heraus und versuchen, sie aufzurichten. Doch die Beine sind vom langen Sitzen „so dick wie Baumstämme“, sie kann nicht laufen. Schließlich tragen die Männer sie die Treppe hinunter. „Jetzt musst du rennen“, sagt einer, als sie auf dem Rollfeld stehen: „Dahinten ist ein Loch im Boden, da schmeißt du dich rein.“ Diana Müll läuft los. Wie sie das geschafft hat, weiß sie bis heute nicht.

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In einem Album hat Frank Hanke Fotos und Artikel über den GSG 9-Einsatz in Mogadischu gesammelt.
In einem Album hat Frank Hanke Fotos und Artikel über den GSG 9-Einsatz in Mogadischu gesammelt.

Banneyer

Vieles hätte schiefgehen können bei diesem Einsatz. Auch Hanke und seine Kollegen hätten dabei sterben können, doch daran habe in diesen Minuten niemand gedacht, sagt der ehemalige GSG-9-Mann. „Erst auf dem Rückflug wurde uns bewusst, was wir überhaupt gemacht haben.“ In einem Album bewahrt er die Erinnerungen an jene heiße Phase des „Deutschen Herbstes“ auf – Zeitungsartikel, Fotos, die Karte mit den Flugrouten der GSG-9-Einheit und der „Landshut“.

Aber eigentlich hat Hanke seine Jahre bei der GSG 9 längst zu den Akten gelegt. 1984 verlässt er die Eliteeinheit, um sich anderen Dingen zu widmen: „Ich war zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort. Damit ist die Zeit aber auch abgehakt.“

Diana Müll betreibt ein Kosmetikstudio in Gießen. Sie hat ein Buch geschrieben über ihre Erlebnisse in der „Landshut“: „Mogadischu: Die Entführung der Landshut und meine dramatische Befreiung“ (riva, 116 S., 14,99 Euro). Ihre Dämonen konnte sie sich damit nicht von der Seele schreiben.

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