geschrieben von Petra Pluwatsch

Die Entführung der „Landshut“
Am 13. Oktober 1977 entführen Terroristen der „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ eine Boeing 737 der Lufthansa.

Die Entführung der „Landshut“ von Petra Pluwatsch

13.10.77

„Hier spricht Captain Martyr Mahmud“, bellt der Mann mit dem dunklen Schnäuzer in das Bordmikrofon. Eine Stewardess übersetzt seine Worte aus dem Englischen ins Deutsche. „Die Maschine steht unter meinem Kommando. Wer meinen Anweisungen nicht folgt, wird sofort erschossen.“ In der „Landshut“, 11.000 Meter über französischem Boden, wird es schlagartig still.

Vor einer Stunde ist die sieben Jahre alte Boeing 737 der Lufthansa in Palma de Mallorca gestartet. Ihr Ziel: Frankfurt am Main. An Bord: 86 Passagiere und fünf Besatzungsmitglieder. „Keine besonderen Vorkommnisse“, werden sich die Passagiere später an eine schnelle und reibungslose Abfertigung auf dem mallorquinischen „Aeropuerto de Son San Juan“ erinnern. Lediglich der 19-jährigen Diana Müll und ihren Freundinnen fällt dieser merkwürdige junge Mann in dem lila karierten, viel zu warmen Jackett auf. Er ist, genau wie sie selber, spät dran. Immer wieder schaut er sich beim Einsteigen nervös um. Kichernd stecken die sechs jungen Frauen die Köpfe zusammen. „Guckt euch mal diesen komischen Typen an!“

Die Klapptische sind nach dem Mittagessen gerade abgeräumt, es riecht nach frisch aufgebrühtem Kaffee, als der “komische Typ” zusammen mit einem Begleiter und zwei jungen Frauen nach vorne stürmt. Der 23-jährige Zohair Youssif Akache alias Captain Mahmod und der gleichaltrige Wabil Harb halten Pistolen in der Hand, die Frauen – die Palästinenserin Souhaila Andrawes (24) und die Libanesin Hind Alameh (22) – sind mit Handgranaten bewaffnet.

20:28 Uhr

Langsam rollt die „Landshut“ auf dem Flughafen von Larnaka auf Zypern aus. Hinter den 88 Entführungsopfern liegen ein kurzer Zwischenstopp in Rom und sechseinhalb Stunden Angst. Besonders die beiden Entführerinnen, „die Dicke“ und „die Kleine“, wie die Passagiere sie bald nennen, kennen kein Erbarmen. Vor allem die weiblichen Passagiere fühlen sich von ihnen bedroht. Wie eine Herde Vieh seien sie alle von den Terroristen nach hinten ins Flugzeug getrieben worden, erinnert sich die Stewardess Gabriele von Lutzau in einem Interview. Anfangs habe sie noch gehofft, „wir hätten es mit irgendwelchen Verrückten zu tun, die Lösegeld erpressen wollen. Dann fiel das Wort Palästina, und es war klar, dass es hier um viel mehr gehen würde.“

Bei der Nachrichtenagentur Reuters geht inzwischen eine Erklärung des bislang unbekannten „Kommandos Märtyrerin Halima“ ein. Die Terroristen sind Mitglieder der „Volksfront zur Befreiung Palästinas“, eine 1967 gegründete palästinensische Terrororganisation. Die Aktion solle den Forderungen der Entführer des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer Nachdruck verleihen, heißt es in dem Schreiben.

Im Großen Krisenstab in Bonn schrillen die Alarmglocken. Seit Wochen rechnet man hier mit einer Folgeaktion der RAF, deren Forderungen nach dem Austausch Schleyers gegen elf inhaftierte RAF-Terroristen bislang ins Leere gelaufen sind. Seit seiner Entführung durch das „Kommando Siegfried Hausner“ am 5. September ist der Industrielle spurlos verschwunden. Lediglich einige Videobotschaften, in denen sich der 62-Jährige in harten Worten über die „Kompromisslosigkeit der Bonner Politiker“ beklagt, beweisen, dass er noch am Leben ist.

21 Uhr

“Auftanken”, befiehlt Mahmud. Sonst werde er nacheinander drei weibliche Geiseln erschießen. „Er verteilte Zahlen, wer wann zur Erschießung dran sei“, erinnert sich Gabriele von Lutzau. „Ich war Nummer drei.“ Die dunkelhaarige Diana Müll, die vor dem Abflug am lautesten über Mahmud gelästert hat, soll das erste Opfer sein. Stundenlang bangen die Frauen um ihr Leben. Erst als der Tower den geforderten Treibstoff bewilligt, gibt Mahmud Entwarnung: „Die drei jüdischen Huren werden nicht erschossen.“

Hinter den Kulissen wird währenddessen heftig verhandelt. Ein Vertreter der deutschen Botschaft in Nikosia wird nacheinander bei Zyperns Staatssekretär für Inneres und Verteidigung sowie bei mehreren Ministern vorstellig. Man möge den Weiterflug der „Landshut“ notfalls mit Gewalt verhindern oder wenigstens verzögern, so seine Bitte. Gleichzeitig startet auf dem Flughafen Köln/Bonn eine Lufthansa-Maschine mit 30 GSG-9-Beamten. Die Spezialeinheit der Bundespolizei ist 1972 nach der Geiselnahme von München gegründet worden. Ihre Aufgabe: die Bekämpfung von Terrorismus, Schwerst- und Gewaltkriminalität. Doch alle Bemühungen der Deutschen um ein schnelles Ende der Entführung bleiben ohne Erfolg. Das Zerschießen der Reifen sei unmöglich, eine Blockade der Startbahn zu gefährlich, argumentieren die Zyprioten.

Um 22.20 Uhr hebt die „Landshut“ erneut ab. Ihr Ziel: die libanesische Hauptstadt Beirut.

14.10.77

Die „Landshut“ ist in Dubai gelandet. In Beirut, dem ersten Ziel, in Damaskus, Bagdad und Kuwait war ihr die Landeerlaubnis verweigert worden. Auch in Dubai ist die Landebahn vorsorglich durch Lkw blockiert, doch Mahmud zwingt Flugkapitän Jürgen Schumann mit vorgehaltener Pistole zum Landeanflug. Erst in letzter Minute kann die Piste geräumt werden.

Inzwischen kennt man die Forderungen der Kidnapper. Zwölf Stunden nach der Entführung der „Landshut“ sind bei einem Schweizer Anwalt zwei Ultimaten eingegangen. Sie bestätigen die schlimmsten Befürchtungen der Bundesregierung: Das „Kommando Siegfried Hausner“ und das „Kommando Märtyrerin Halima“ arbeiten zusammen. Gemeinsam fordern sie die Freilassung der elf RAF-Gefangenen und zweier in der Türkei inhaftierter Palästinenser sowie 15 Millionen US-Dollar Lösegeld. Andernfalls werde man Schleyer und die Entführungsopfer der „Landshut“ töten. Beide Ultimaten enden am Sonntag, 16. Oktober, um neun Uhr mitteleuropäischer Zeit.

An der harten Linie der Bundesregierung ändert das nichts: Man werde auf die Forderungen der Entführer nicht eingehen, so die „Staatspolitische Entscheidung“ des Bundeskabinetts. Stattdessen bricht der Staatsminister im Bundeskanzleramt, Hans-Jürgen Wischnewski, nach Dubai auf. „Ben Wisch“, bekannt für seine guten Kontakte in die arabische Welt, soll alle diplomatischen Mittel ausschöpfen, um eine schnelle Befreiung der Geiseln zu erreichen.

15.10.77

Helmut Schmidt telefoniert mit dem britischen Premierminister James Callaghan. Was er in dieser Situation tun solle? Und: Ob Callaghan eventuell „Einfluss auf das Scheichtum in Dubai“ ausüben könne. Immerhin war das Emirat Dubai bis 1971 britisches Protektorat. Callaghan bestärkt Schmidt in seiner harten Haltung gegenüber den Terroristen. Auch er halte es persönlich wie politisch für richtig, deren Forderungen nicht nachzugeben und die inhaftierten RAF-Gefangenen keinesfalls auszuliefern. In Dubai hat inzwischen Scheich Mohammed Bin Raschid die Einsatzleitung übernommen.

Um 23.35 Uhr triff Wischnewski in Dubai ein. Er bietet die Hilfe der GSG 9 an, doch Mohammed lehnt ab. Er will die Befreiungsaktion auf eigene Faust durchführen. Doch noch fehlt dafür die Erlaubnis des Präsidenten der Vereinigten Arabischen Emirate, Scheich Sajid Bin Sultan.

16.10.77

Die „Landshut“ startet durch. Ihr Ziel: unbekannt. 54 Stunden hat sie in Dubai in glühender Hitze auf dem Rollfeld gestanden. Sämtliche Versuche Wischnewskis, den Präsidenten zu einem Sturm auf die gekaperte Maschine zu überreden, sind gescheitert.

An Bord herrschen inzwischen chaotische Zustände. Die Toiletten sind verstopft, es stinkt nach Fäkalien. Mehrmals hatte Terrorchef Mahmud mit der Erschießung von Geiseln gedroht, falls die „Landshut“ nicht aufgetankt werde. Auch unter den erschöpften Passagieren wachsen Angst und Wut. „Diese Scheißpolitiker in Bonn“, wettern die, die noch die Kraft dazu haben. „Der Kanzler opfert unser Leben.“

Die Tanks der „Landshut“ sind fast leer, als Schumann gegen 16.30 Uhr zu einer Notlandung im südjemenitischen Aden ansetzt. Auch hier sind die Landebahnen durch Panzer und Lkw blockiert, doch diesmal werden die Hindernisse nicht in letzter Sekunde weggeräumt.

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Wischnewski
18. Oktober 1977: Staatsminister Hans-Jürgen Wischnewski (links) und GSG-9-Chef Ulrich Wegener nach der Befreiung der „Landshut“ in Mogadischu

ap

Schumann reagiert geistergegenwärtig. Er setzt die Maschine auf einer Sandpiste neben der Landebahn auf. Minuten später ist die „Landshut“ von einer Sondereinheit der nordjemenitischen Armee umstellt. „Weg hier“, raunzt deren Kommandant die Entführer an. Auch in Aden wolle man nichts mehr mit Terrorismus und Flugzeugentführungen zu tun haben. „Los, ab mit euch!“

Doch der Weiterflug verzögert sich. Auf dramatische Weise. Schumann will zunächst überprüfen, ob das Fahrwerk der „Landshut“ bei der Notlandung Schaden genommen hat. Mehr als 20 Minuten bleibt der Flugkapitän weg – nach Mahmuds Ansicht viel zu lange für eine schlichte Fahrwerks-Inspektion. Als Schumann schließlich zurückkehrt, erschießt ihn der Terroristenchef vor den Augen der entsetzten Passagiere. Stundenlang bleibt die Leiche im Mittelgang der Kabine liegen. Die Entführung der „Landshut“ hat ihr erstes Todesopfer gefordert.

Tatsächlich hat Schumann im Flughafengebäude 20 Minuten lang versucht, einen General der nordjemenitischen Luftwaffe zu überreden, die Maschine nicht weiterfliegen zu lassen. Doch Scheich Ahmed Mansur lehnt ab. „Ich kann Ihnen jeden anderen Wunsch erfüllen, aber unmöglich den, dass die Passagiere aussteigen und die Entführer von jemenitischem Boden aus verhandeln.“ Schumann kehrt daraufhin zur „Landshut“ zurück. „Ich bin sicher“, sagt er im Weggehen, „sie werden mich umbringen.“

17.10.77

Alarmstimmung auf dem Flughafen von Mogadischu. Vor sieben Stunden ist die „Landshut“ in der somalischen Hauptstadt gelandet. Jetzt setzt auf einem abgelegenen Rollfeld eine weitere Maschine aus Deutschland auf. An Bord: „Ben Wisch“. Seit Tagen fliegt der Staatsminister dem entführten Flugzeug hinterher. In seiner Begleitung: ein Psychologe, der das Verhalten der Terroristen analysiert. Und Ulrich Wegener, der Chef der GSG 9.

Bonn hat dem somalischen Diktator Siad Barre mit allerlei Versprechen die Zustimmung für die Erstürmung der entführten Maschine abgerungen. 60 Elitekämpfer sind in den frühen Morgenstunden in Köln/Bonn Richtung Afrika gestartet. Die Zeit drängt. Die Terroristen haben das Ultimatum für den Austausch der Geiseln auf 15 Uhr mitteleuropäischer Zeit verlängert. Sonst werde das Kommando „Märtyrerin Halima“ die Maschine mit den Geiseln in die Luft sprengen.

Kurz vor 15 Uhr

Die Terroristen beginnen, Sprengstoff an den Kabinenwänden der „Landshut“ zu befestigen. Die Passagiere werden gefesselt und mit Alkohol und Parfüm übergossen. Zuvor kontaktiert Gabriele von Lutzow über Funk den Tower. Die Stewardess hat eine Botschaft an die deutschen Politiker. „Wir wissen jetzt, dass wir sterben müssen. Es wird sehr schwer sein, aber wir werden versuchen, so tapfer wie möglich zu sterben. Es gibt Menschen in der deutschen Regierung, die verantwortlich für unseren Tod sind. Ich hoffe, Sie können mit dieser Schuld auf Ihrem Gewissen leben.“

Kurz vor Ablauf des Ultimatums teilt der deutsche Botschaftsmitarbeiter Michael Libal den Entführern mit, Bonn sei bereit, auf ihre Forderungen einzugehen und die Geiseln auszutauschen. Es werde jedoch sieben Stunden dauern, ehe die RAF-Gefangenen in Mogadischu eintreffen könnten. Mahmud verlängert das Ultimatum daraufhin ein weiteres Mal. Auf 1.30 Uhr.

18.10.77

Blendgranaten, explodieren vor den Cockpit-Fenstern der „Landshut“, tauchen die Maschine in ein gleißendes Licht. Männer mit geschwärzten Gesichtern stürmen durch die Türen Richtung Cockpit. „Köpfe runter. Wo sind die Schweine?“ Sekunden später sind drei der Entführer tot. Nur Souhaila Andrawes, „die Dicke“, überlebt schwer verletzt die „Operation Feuerzauber“. Im Tower krächzt eine Stimme aus den Funkgeräten: „Wir haben die Kontrolle über die Maschine! Keine Opfer, keine Opfer, keine Opfer! Alle Geiseln sind befreit, befreit!“

0:07 Uhr

Im Kanzleramt in Bonn klingelt das Telefon. Wischnewski ist am Apparat. „Die Arbeit ist erledigt“, sagt der Staatsminister.

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