geschrieben von Harald Biskup

Rudi Dutschke und die RAF
Die Rote Armee Fraktion hatte in ihrer Frühphase Rückhalt im linken intellektuellen Milieu, vor allem in der Studentenbewegung.

Rudi Dutschke und die RAF von Harald Biskup

Nach dem kollektiven Selbstmord der RAF-Anführer Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe in der angeblich so sicheren Gefängnis-Festung Stuttgart-Stammheim am 18. Oktober 1977 wollen „anständige“ Stuttgarter Bürger den Terroristen ein Begräbnis verweigert wissen. Ihre Empörung trifft damals, auf dem Höhepunkt des „Deutschen Herbstes“, republikweit durchaus auf Zustimmung. Es gibt aber auch andere Reaktionen: Eine kleine Minderheit zieht die Version vom Suizid in Zweifel, faselt von „Hinrichtung“ und sieht „die Schweine des Bullen-Staates BRD“ am Werk.

Zehn Jahre nach den tödlichen Schüssen auf den Studenten Benno Ohnesorg ist das gesellschaftliche Klima in Westdeutschland aufs Höchste angespannt und aufgewühlt. Nach mehr als 30 Morden und unzähligen Anschlägen haben die Terroristen der RAF, denen anfangs keineswegs nur linke Randgruppen, sondern auch Intellektuelle ein gewisses Verständnis entgegengebracht haben, das letzte Quäntchen Sympathie verspielt – außer bei ihren ganz hart gesottenen Gesinnungsgenossen, die die drei Toten zu Märtyrern stilisieren.

Am 6. September 1977, dem Tag nach der Entführung von Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer in Köln appelliert Kanzler Helmut Schmidt (SPD) in einer Fernsehansprache auch an jene, bei denen die Taten der RAF nicht auf ungeteilte Ablehnung stoßen. Drastisch fordert er die „Sympathisanten“ auf, ihre „irregeleitete Unterstützung“ aufzugeben.

Worauf gründeten und woraus speisten sich Interesse und Verständnis für die zunächst verharmlosend „Baader-Meinhof-Gruppe“ genannten Terroristen? Eine Analyse des Seminars für Zeitgeschichte an der Uni Tübingen kommt zu der Einschätzung, die Sympathie für die frühen Taten der RAF in links-intellektuellen Kreisen lasse sich durch gemeinsame Herkunft erklären. Viele Intellektuelle seien Anfang der 70er Jahre als Studenten, Dozenten oder Teil der interessierten Öffentlichkeit mit der Studentenbewegung in Berührung gekommen. Und die RAF habe in der Frühphase ihre Wurzeln durchaus in der gemeinsamen Kritik an den gesellschaftlichen Bedingungen in Westdeutschland gesehen.

Wegen des gescheiterten Protests gegen die Notstandsgesetze 1968/69 und nach der Selbstauflösung des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) zerfiel die Bewegung und radikalisierte sich. Trotz oder gerade wegen der Erfolglosigkeit ihrer Aktionen fand die zersplitterte Bewegung aber weiter Widerhall in Teilen der Gesellschaft. Allerdings galt die verbale Unterstützung nicht für die gesamte Linke. Der Soziologe Harald Uetz behauptet, die Linke habe sich immer dann am meisten mit der RAF identifiziert, wenn keine Gewalt gegen Menschen im Spiel war. Dagegen sei sie nach den ersten Attentaten 1972 und nach der Mordserie 1977 mehrheitlich auf Distanz gegangen.

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Rudi Dutschke (1940 bis 1979), der führende Kopf der Studentenbewegung, im März 1968 während einer Rede in Buxtehude

dpa

Anfangs waren es keineswegs irgendwelche ideologisch verblendeten Zirkel, die den Weg der RAF-Gründer mit Sympathie verfolgten, sondern eine intellektuelle Öffentlichkeit mit Wurzeln in der „Mitte der Gesellschaft“. Eine Allensbach-Umfrage von 1971 ergab, dass jeder vierte Bundesbürger unter 30 „gewisse Sympathien“ für Baader, Meinhof & Co. hegte, jeder fünfte ihnen Handeln „aus politischer Überzeugung“ attestierte. Immerhin fünf Prozent der Befragten wären bereit gewesen, einen polizeilich gesuchten Untergrundkämpfer zu beherbergen.

Nicht bloß klammheimliche Freunde fanden an „Happenings“ wie dem Kaufhausbrand Gefallen, den Baader und Ensslin am 3. April 1968 in Frankfurt legten. Das Einverständnis mit der vermeintlichen „Sponti-Aktion“ fiel umso leichter, als dabei niemand zu Schaden kam. Doch den Brandstiftern war es durchaus Ernst mit ihrem Symbolakt gegen „Kapitalismus und Konsumterror“. Und zugleich – so weit hergeholt die Metapher auch erscheint – gegen den Vietnamkrieg. Nach einem „erfolgreichen“ Kaufhausbrand im Mai 1967 in Brüssel mit 251 Toten kommentierte die „Kommune 1“ um Rainer Langhans und Fritz Teufel, die sich als „Spaßguerilla“ verstand, mit schwerlich überbietbarem Zynismus: „Unsere belgischen Freunde haben endlich den Dreh raus, die Bevölkerung am lustigen Treiben in Vietnam zu beteiligen. Brüssel wird Hanoi.“

Bekanntester Kopf der Studentenrevolte und – bis zum Attentat auf offener Straße am 11. April 1968 – ihr Vordenker ist Rudi Dutschke. Die Springer-Presse erklärt ihn zum „Volksfeind Nummer eins“. Wenige Tage, bevor der rechtsradikale Münchner Malergeselle und Kommunistenhasser Josef Bachmann (23) Dutschke niederschießt, hat die „Bild“-Zeitung zum „Ergreifen der Rädelsführer“ aufgerufen.

Unter Zeithistorikern hat sich die Auffassung durchgesetzt, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen der 68er Bewegung und der RAF gab. Der Politologe Wolfgang Kraushaar vom Hamburger Institut für Sozialforschung, einer der profundesten Analytiker des Studentenprotests und der RAF, sagt, der von Dutschke eingeschlagene Weg sei eine „Gratwanderung“ gewesen. Und ein „fortwährender Versuch, die selbst propagierte Entgrenzung der Gewalt im Nachhinein einzuschränken und zu zähmen“. Einerseits habe Dutschke über Jahre hinweg politische Konflikte dynamisiert und einer Eskalationsstrategie das Wort geredet. Andererseits aber habe er individuellen Terror abgelehnt und die RAF als „politische Degeneration“ verurteilt.

Für Dutschke steht außer Frage, dass das kapitalistische System Gewalt produziert – nicht bloß in Politik und Justiz, sondern im gesamten Gefüge der gesellschaftlicher Institutionen. Er propagiert deswegen „direkte Aktionen“ zur Durchbrechung der herrschenden Spielregeln und ruft zum Angriff auf „zentrale Nervenpunkte des Systems“. Als mögliche Ziele nennt er etwa Parlamente, Steuerbehörden, Gerichtsgebäude, Polizeistationen und „Manipulationszentren“ wie das Springer-Hochhaus. In einem Interview kurz vor dem Attentat doziert Dutschke: „Wir kennen nur einen Terror – das ist der Terror gegen unmenschliche Maschinerien. Die Rotationsmaschinerie von Springer in die Luft zu jagen und dabei keine Menschen zu vernichten, das scheint mir eine emanzipierende Tat.“
Ohne Dutschke, so viel Mutmaßung ist zulässig, hätte der Linksradikalismus in Deutschland eine andere Entwicklung genommen. Ohne ihn, den Zerspannungsfacharbeiter und talentierten Zehnkämpfer aus der DDR-Provinz, der zufällig zwei Tage vor dem Mauerbau im August 1961 nach West-Berlin kam und sich zum Studium an der FU eintrug.

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Das Verhältnis von Rudi Dutschke zur RAF? "Ein Nicht-Verhältnis", sagt Deutschkes Witwe Gretchen Dutschke-Klotz (hier im Jahr 1970 mit Rudi Dutschke).

dpa

Wie war nun sein Verhältnis zur RAF? „Ein Nicht-Verhältnis. 68 war eine antiautoritäre Bewegung, die RAF war das Gegenteil“, sagte seine Witwe, die Amerikanerin Gretchen Dutschke-Klotz 40 Jahre nach dem Attentat in einem Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Ein paar Mal habe ihr Mann Jan-Carl Raspe in Stammheim besucht, weil die beiden einander von früher kannten. „Aber zwischen Rudi und der RAF war eine undurchdringliche Mauer.“

Gelegentlich wurde Gretchen Dutschke vorgeworfen, ihren 1979 an den Spätfolgen des Attentats gestorbenen Mann zu einem Heiligen zu stilisieren. Walter Jens nannte ihn gar einen „friedliebenden, zutiefst jesuanischen Menschen, der wusste, auf welcher Seite sein Herr Jesus steht“. Doch jenseits solcher Glorifizierung trifft es zu, dass Dutschke ein politischer Gegner der RAF war.

Schleyers Entführung und ihre Rechtfertigung mit Bezug auf den Mord an Generalbundesanwalt Siegfried Buback verurteilt er denkbar deutlich: „Wenn verzweifelte oder beauftragte Desperados schreiben, »schafft viele Bubacks«, so kann ein Sozialist nur sagen: Höher kann die Zerstörung der kritisch-materialistischen Vernunft nicht mehr gehen.“

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